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"Kaltexpansion" von Bohrungen in Flugzeugstrukturen
Auswirkungen der Kaltexpansion
Kaltexpansion von Bohrungen ist ein Arbeitsverfahren, das vom Flugzeughersteller Boeing in den frühen 1970er Jahren entwickelt und erstmals in der F18 und anderen Flugzeugstrukturkomponenten eingesetzt wurde, um Ermüdungsrissen in Flugzeugstrukturen entgegenzuwirken.
In der Praxis hat es sich gezeigt, dass an verschiedenen und nicht vorher bestimmbaren Punkten der Flugzeugstruktur nach einer Anzahl von Flugstunden Ermüdungserscheinungen des Materials auftreten. Sie äußern sich meist in Rissen, die von Bohrungen ausgehen.
Werden bei Kontrollen Ermüdungsrisse gefunden, so können andere Flugzeughalter veranlasst werden, vor dem Erreichen der kritischen Flugstundenzahl eine Kaltexpansion der betreffenden Bohrungen vorzunehmen, um die Ermüdungsfestigkeit in diesen Bereichen zu steigern.
Wirkungsweise
Kaltexpansion schirmt die Bohrung vor den einwirkenden Belastungen weitgehend ab, indem sie einen Bereich um die Bohrung herum mit Druckeigenspannungen erzeugt.
Vorwiegend kommt Kaltexpansion an hochfesten Al-Legierungen zur Anwendung. Aber auch Strukturen aus Stahl- und Titan-Legierung können durch das Verfahren in ihrer Lebenserwartung gesteigert werden.
Sind in einem Strukturbauteil Bohrungen für Verbindungselemente vorhanden, verringert sich die ursprünglich, Lastübertragende Querschnittsfläche im Bauteil. Dadurch tritt bei Lastübertragung eine Änderung der Spannungsverteilung auf und es entstehen Spannungskonzentrationen um die Bohrungen. Diese sind dann die Bereiche mit der höchsten Belastung, die am anfälligsten für Ermüdungsversagen sind. Durch eine gezielte Kaltexpansion kann diesem Versagen entgegengesteuert werden.
Die Kaltexpansion erfolgt, indem ein Dorn mit einem bestimmten Übermaß mit einem hydraulischen Werkzeug durch die Bohrung hindurchgezogen wird. Passiert der Dorn die Bohrung, wird diese um eine Differenz aufgeweitet, die zwischen Bohrungsdurchmesser und Dorndurchmesser liegt.
Bei den verwendeten Aluminium- Stahl- und Titan-Legierungen federt das Material hinter dem aufweitenden Dorn auf den Durchmesser „c“ zurück, dieser ist größer als die vorherige Originalbohrung „a“ und kleiner als der größte Dorndurchmesser „b“.
Das ursprüngliche Verfahren der Kaltexpansion mit einem einzelnen Dorn hat im Laufe der Jahre einige Veränderungen erfahren. So kann der Dorn mit einer zusätzlichen Hülse versehen werden. Dadurch kann ein Schutz der Bohrungswandung während des Dorndurchzuges sichergestellt werden.
Auch kann der Bohrungsdurchmesser nach Flugzeugherstellerforderung so ausgelegt werden, dass eine hohe oder niedrige Kaltexpansion erreicht wird. Hier erfolgt eine Eingruppierung in "Class 1" mit einer maximalen Überschneidung von 5 % und in "Class 2" mit einer Überschneidung von 3 %.
Spannungsverlauf im Bereich der Kaltexpansion
Die nebenstehende Abbildung "A" zeigt eine geriebene Bohrung, die unter Zugbelastung steht.
Der Kraftlinienfluß wird durch die Bohrung gestört. Dies kann aus den beiden Spannungsspitzen im Bereich der Bohrung ersehen werden. In diesen beiden Bereichen tritt auch die höchste Belastung auf.
In Abbildung "B" wird an der Bohrung eine Kaltexpansion ausgeführt, während das Bauteil keiner Zugbelastung ausgesetzt ist.
Dies kann auch an der Veränderung der beiden Spannungsspitzen am Diagramm ersehen werden. Dabei werden die Schichten des Metalls im äußeren Durchmesser der Bohrung über die Streckgrenze hinaus beansprucht und es kommt zu einer gezielten plastischen Verformung.
Nach der Kaltexpansion verhindert das nachgebende Material, dass das angrenzende Metall im Bereich der Bohrungswandung in seine ursprüngliche Form zurückkehrt.
Das nachgebende Material steht nun unter Druck, während das angrenzende Metall unter Spannung gehalten wird.
In Abbildung "C" kann ersehen werden, dass bei erneuter Zugbelastung auf das Bauteil die Druckeigenspannungen der Zugbelastung im hochbelasteten Bereich um die Bohrung entgegen wirken.
So verbinden sich nach der Kaltexpansion die Druckeigenspannung mit der Lastspannung und die Nettospannungskonzentration um die Bohrung wir verringert.
Abbildung "D" zeigt, dass bei erneuter Zugbelastung auf das Bauteil die Druckeigenspannungen der Zugbelastung im hochbelasteten Bereich um die Bohrung entgegen wirken.
So verbinden sich nach der Kaltexpansion die Druckeigenspannung mit der Lastspannung und die Nettospannungskonzentration um die Bohrung wird verringert. Die Reduzierung der Spitzenspannung führt wie schon angeführt zu einer erheblichen Verlängerung der Ermüdungslebensdauer des Bauteiles. So wird bewusst eine Spannung in das Material eingebracht, die der späteren Zugbelastung entgegenwirkt.
Nebenstehende Abbildung zeigt die Spannungsverteilung im Bereich der Bohrung nach der Kaltexpansion.
Die von der Bohrung ausgehenden farbigen Radialkreise, zeigen die Druckspannungszone, die durch das Kaltexpansions-Werkzeug erzeugt wurde. Die farbigen Kreise werden sichtbar gemacht, indem man einen Kunststoff durch einen Polarisationsfilter betrachtet.
Der Kunststoff wurde vor seiner Längenänderung unter Temperatureinwirkung mit Epoxidharz an das Metall gebunden.
Werkzeuge und Geräte
Zum Vorbereiten der Bohrungen für die Kaltexpansion werden Bohrer, Bohrmaschinen, Reibahlen und verschiedene Messwerkzeuge benötigt.
Die eigentliche Kaltexpansion erfordert jedoch folgende Werkzeuge wie beispielsweise den vorgeschriebenen Dorn (engl. mandrel) mit passender Hülse (engl. sleeve). Ein entsprechendes Antriebsgerät zum Durchziehen oder Durchdrücken des Dornes. Hier wird in den meisten Fällen ein hydraulisches Gerät (engl. puller unit) in Frage kommen. Verwendet werden kann auch ein genügend großer Drucklufthammer (engl. rivet gun).
Die Wahl der Antriebswerkzeuge richtet sich nach den räumlichen Gegebenheiten und der Strukturbeschaffenheit. Ein Durchziehen des Dornes ist einem Durchdrücken vorzuziehen, besonders wenn die Struktur flexibel ist.
Führende Hersteller von Werkzeugen und Verbrauchsmaterial für Kaltexpansion sind die US-amerikanischen Hersteller „Fatigue Technology Inc.“ und „West Coast Industries Inc.“, beide in Seattle ansässig. Sie besitzen die Zulassung der meisten Flugzeughersteller zur Anwendung des Verfahrens an den Flugzeugen.
Arbeitsablauf beim Kaltexpandieren
In den Bereichen, in denen eine Kaltexpansion von vorhandenen Bohrungen vorgenommen werden muss, werden die entsprechenden Verbindungselemente ausgebaut.
Beim nachfolgenden Aufreiben, und noch mehr während der Kaltexpansion selbst, kommt es darauf an, dass die Strukturteile fest aufeinander liegen. Dieses erreicht man am besten durch den Ausbau von möglichst wenigen Verbindungselementen zur gleichen Zeit.
Spalte zwischen den Teilen, wie sie durch mangelnden Anpressdruck entstehen können, füllen sich während des Reibens mit Spänen. Die Folgen sind verminderte Kraftübertragung und erhöhte Korrosionsgefahr. Teile, die sich während der Kaltexpansion voneinander abheben, können beschädigt werden oder zum Bruch des Ziehdornes führen.
Kommt bei einer Kaltexpansion keine Hülse zur Anwendung, so ist nach dem Durchziehen des Dornes der Abrieb nach jedem Arbeitsgang mit einer Polierscheibe zu entfernen. Wird der Abrieb nicht entfernt, so führt dieser beim Verfestigen der nächsten Bohrung zu schnell ansteigenden Reibungswerten, wodurch der Dorn beschädigt oder abreissen kann. Auch darf die Bewegung des Dorns beim Durchziehen nicht unterbrochen werden, da auch in solchen Fällen die Reibungswerte extrem ansteigen und ein Bruch erfolgen kann.
Nach dem Durchziehen des Dornes wird die Hülse aus der Bohrung entfernt und verschrottet. Danach wird die Bohrung auf ein geringes vorgegebenes Maß aufgerieben und mit einem Grenzlehrdorn auf Maßhaltigkeit überprüft.
Fazit
Bitte beachten Sie, dass die vorgehende Beschreibung nur einen globalen Überblick verschaffen soll. „Kaltexpansion“ an Bohrungen in Flugzeugbauteilen darf nur nach einer Unterlage durchgeführt werden, die einer ständigen Revision unterliegt.
Dies können die verschiedenen Structural Repair Manuals, Process Specifications der Flugzeughersteller, sowie die Dokumentationen der Hersteller sein, die Werkzeuge und Geräte für die Kaltexpansion liefern.